„Viele können sich ÖPNV nicht leisten“
Oliver Strank: Wer länger arbeiten will, soll es dürfen. Foto: Peter Jülich
Die Frankfurter Ansgar Dittmar und Oliver Strank kämpfen um die SPD-Kandidatur im westlichen Wahlkreis 182. Die Entscheidung fällt am Samstag.
Herr Dittmar, Herr Strank, Sie wollen beide für die SPD im nächsten Jahr in den Bundestag. In der SPD wird gerade heftig darüber diskutiert, ob es 2017 eine rot-rot-grüne Bundesregierung geben könnte. Was halten Sie von Rot-Rot-Grün?
Strank: Ich halte es erst mal für wichtig, dass wir trotz der Umfragen für Frankfurt anstreben, ein Ergebnis von 30 % plus X zu erreichen und stärkste Kraft im Bundestag zu werden. Deshalb ist es gut, dass wir nun mit Rot-Rot-Grün eine neue Machtoption haben. 2013 haben wir so schlecht abgeschnitten bei den Zweitstimmen, weil die Wähler mit Rot-Grün alleine keine Perspektive sahen, einen Kanzler zu wählen.
Dittmar: Vor allem ist die große Koalition mit der CDU 2017 keine Machtoption mehr. Mit der CDU lässt sich keine gute Politik machen. Die Grünen müssen sich entscheiden zwischen Kretschmann und Hofreiter. Und die Linke müssen sich entscheiden zwischen Bartsch und Wagenknecht.
Ist mit der Linken eine Verhandlungsbasis zu finden? SPD und Linke sind bei der Bewertung der NATO weit auseinander und bei Fragen von Krieg und Frieden.
Strank: Die Linken müssen ihre Position zu diesen internationalen Fragen überdenken. In einem Koalitionsvertrag mit der SPD dürfen diese rückwärtsgewandten Überzeugungen der Linken zur Nato und zu Europa nicht durchdringen.
Frankfurt am Main ist ja stets politisches Labor für Deutschland. Der SPD-Unterbezirksvorsitzende Mike Josef hat in der FR für Rot-Rot-Grün in Frankfurt und im Bund plädiert. Ist auch Frankfurt für sie vorstellbar?
Strank: Es ist eine Machtoption. Diese SPD sollte nichts mehr von vorneherein ausschließen. Das haben wir aus der Vergangenheit gelernt.
Die leidvolle Ausschließeritis, die damals in Hessen bei Ypsilanti so schadete….
Dittmar: Wir haben in der jetzigen Römer-Koalition konservative Kräfte, die etwa beim sozialen Wohnungsbau ein Hemmschuh sind. Ich kann mir Rot-Rot-Grün auch in Frankfurt vorstellen. Bei der sozialen Gerechtigkeit sind weder die CDU noch die FDP geeignete Partner.
Strank: Ich halte den Vorstoß von Mike Josef für klug. Auch für Frankfurt. In Thüringen und in Berlin wird sich hoffentlich zeigen, dass die Linken durchaus in der Lage sind, realistische Politik zu machen, wenn sie mit der SPD in Regierungsverantwortung kommen.
Die Situation im Bund bei der Mehrheitsbildung ist deshalb so schwierig, weil sich der Rechtspopulismus als stabile politische Kraft etabliert hat. In Frankfurt beträgt der Anteil der AfD rund neun Prozent. In Sachen-Anhalt sind es rund 25 Prozent. Wollen Sie an diese Menschen herankommen oder geben Sie sie auf?
Dittmar: Wir müssen die richtigen Antworten auf die vielen Fragen der AfD-Wähler geben. Der Anteil der AfD ist in Frankfurt deshalb so gering, weil wir hier ein sehr liberales Klima haben und Menschen vieler Nationen gut zusammenleben. Wir müssen Antworten finden auf die Abstiegsängste vieler Menschen. Die SPD setzt da auf soziale Gerechtigkeit und gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Strank: Wir müssen erreichen, dass das öffentliche Leben wieder funktioniert. Wenn man die bräunliche Schicht von vielen Äußerungen abkratzt, sieht man darunter: Unzufriedenheit mit mangelnder Infrastruktur, fehlenden Bussen und maroden Schulen. Gerade die Menschen, die auf funktionierende Infrastruktur angewiesen sind, sich aber abgehängt fühlen, wählen dann die AfD. Man muss mit den Menschen reden.
Werden Sie auch zu ihnen hingehen?
Strank: Ja. Wir werden im Bundestagswahlkampf sehr viele Hausbesuche machen.
Dittmar: Das unterstreiche ich. Bei Hausbesuchen sind wir in Frankfurt Vorreiter, schon durch den OB.
Strank: Ein plumpes AfD-Bashing ist keine nachhaltige Strategie. Wir müssen an die Wurzeln des Problems gehen.
Sehen Sie in Frankfurt diese Probleme mit der Infrastruktur?
Dittmar: Das Problem ist, dass sich viele Menschen in Frankfurt den öffentlichen Nahverkehr nicht mehr leisten können. Deren Problem ist: Wie komme ich von Höchst nach Fechenheim? Die Mobilität ist stark eingeschränkt. Auch die soziale Mobilität. Wir haben große Kinderarmut in Frankfurt. Ein Viertel der Kinder lebt unter der Armutsgrenze. Menschen, die so abgehängt sind, entscheiden sich auch für Populisten.
Sie als SPD-Basis, leiden Sie nicht unter dem politischen Eiertanz ihrer Führung in Berlin?
Dittmar: Ja, immer wieder.
Die berühmte Frage: Wofür steht Sigmar Gabriel montags, dienstags, mittwochs?
Strank: Wir müssen unsere Positionen konsistent und konsequent durchhalten, um glaubwürdig zu sein. Das ist leider auf Bundesebene nicht immer so.
Dittmar: Wir brauchen klare Kante. Sigmar Gabriel ist ein wirklich intelligenter Mensch, der eine Antenne für Stimmungen hat. Ich würde mich freuen, wenn er weniger ungestüm unterwegs wäre. Das würde uns an der Basis helfen. Uns wird immer wieder der wechselvolle Kurs vorgeworfen. Bei den Flüchtlingen haben wir hier in Frankfurt eine tolle Arbeit geleistet. Da brauche ich von meiner Führung keine Debatte über Obergrenzen. Das hat uns überhaupt nicht geholfen.
Strank: Gabriel hat mal gesagt, wir müssen wieder dahin gehen, wo es laut ist, gelegentlich auch stinkt. In diesem Punkt hatte er recht.
Wo ist das in Frankfurt?
Strank: Im übertragenen Sinne meine ich damit die großen Siedlungen. In Zeilsheim, Sindlingen, Sossenheim und im Gallus. Da müssen wir hin. Wir dürfen keinen Wahlkampf aus der Ferne machen.
Was wäre Ihr wichtigstes Thema im Bundestag?
Strank: Gerechtere Verteilung von Vermögen. Sozialer Aufstieg muss wieder möglich sein. Und wir brauchen wieder mehr bezahlbare Wohnungen. Das sind gerade auch in Frankfurt wichtige Themen.
Dittmar: Mein großes Thema ist soziale Sicherheit. Wie organisiere ich selbstbestimmtes Leben, Wohnen und Arbeiten? Wir müssen über eine Grundsicherung für Kinder nachdenken. Das große Thema in Frankfurt ist der Ausbau von Wohnraum und die Einschränkung von Spekulation mit Wohnungen.
Strank: Wir brauchen Gerechtigkeit und Fortschritt. Wir müssen verhindern, dass in Frankfurt ein neues digitales Proletariat entsteht. Wir brauchen sichere Arbeitsplätze auch in der digitalen Welt.
Was verstehen Sie unter digitalem Proletariat?
Strank: Click- und Crowd-Worker, die sich frei anbieten für digitale Arbeiten.
Dittmar: Wir brauchen in dieser Branche gute, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
Zum Anschluss noch ein paar Ja-Nein-Fragen. Sichere Herkunftsländer ausweiten?
Dittmar: Nein. Schon die Maghreb-Staaten waren da ein Problem. Das sind keine sicheren Herkunftsländer.
Strank: Es kann keine Lösung sein, pauschal immer weitere Länder zu sicheren Herkunftsländer zu erklären, nur um Flüchtlinge fernzuhalten.
Flüchtlingsabkommen mit der Türkei weiterführen?
Strank: Es wird zunächst weitergeführt werden müssen. Aber wir müssen dann sehen, wie es mit der Demokratie und mit den Menschenrechten in der Türkei weitergeht.
Dittmar: Wenn in der Türkei die Todesstrafe wieder eingeführt wird, müssen wir darüber neu nachdenken.
Rente noch später als mit 67?
Dittmar: Flexible Rente ja, aber nicht später als 67.
Strank: Die Flexirente war ein erster wichtiger Schritt. Wenn ältere Menschen länger arbeiten wollen und können, sollen sie es auch tun dürfen.
Die Personen
Ansgar Dittmar ist Rechtsanwalt in Frankfurt und engagiert sich im Arbeitsrecht.
Er ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Schwulen und Lesben in der SPD. Er führt die AWO in Frankfurt.
Oliver Strank ist Rechtsanwalt in Frankfurt und hat unter anderem die UNO beraten.
Er ist Ortsvorsteher im Frankfurter im Ortsbezirk 1. jg
Quelle:
http://www.fr.de/frankfurt/bundestagswahl-viele-koennen-sich-oepnv-nicht-leisten-a-300417